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Impuls zum 19. Juni 2022

Zum 12. Sonntag im Jahreskreis

Von  Ferdinand Kerstiens (Marl), pax christi Münster

Gleichheit in Würde und Recht
Artikel 1:
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt

Artikel 3: 
1. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
2. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
3. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Die gleiche Würde aller Menschen, darum geht es in unserer Welt. Zur gleichen Würde gehören die gleichen Rechte auf Leben, eben die Menschenrechte, wie sie von der UNO in hoffnungsvollen Zeiten formuliert wurden. Diese Würde und diese Rechte sind schon in der Schöpfungsgeschichte grundgelegt: „Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn. Männlich und weiblich schuf er sie.“  (Gen 1,27) 

Doch der Brudermord folgte bald. Die Ungleichheit setzte sich fort: Männer herrschten über die Frauen, Herren über die Sklav:innen, Juden gegen die Heiden, Christen gegen die Juden, Gläubige gegen Ungläubige, Europäer gegen die „Kolonial“-Völker, der Westen gegen den Osten, Krieg Russlands gegen die Ukraine, Flüchtende 1., 2. oder 4. Klasse … Reiche, die immer reicher werden auf Kosten der Armen, die immer ärmer werden … Unsere Welt wird wärmer, trockener, naturkatastrophen-anfälliger, eine Gefahr für alle, vor allem für die kommenden Generationen, vor allem für die ärmeren Völker, die am wenigsten unsere Welt gefährden. Immer sind wir „die Guten“ und jeweils die anderen „die Bösen“.

Ich weiß, die genannten Konflikte liegen auf unterschiedlichen Ebenen. Doch durch alle Konflikte – auch die vielen ungenannten - hindurch zieht sich die  Ungleichheit, die sich in unseren Zeiten nur noch steigert und jeweils andere Menschen am Leben hindert, sie zum Opfer macht, und die dann für die Armen und Unterlegenden zuerst, aber dann auch für uns alle die Lebenswelt zerstört, weil unser Klima kollabiert. Die Ungleichheit ist immer Folge von Machmissbrauch. Das gilt auch für die sexuellen Verbrechen in unserer Kirche. 

Doch: muss das so sein? Gibt es nicht Gegenbewegungen? Was ist mit den Christ:innen, den christlichen Kirchen? Leider spielen sie die Machtspiele oft mit, siehe die Fundamentalisten in allen Religionen, die Traditionalisten in den USA und die Orthodoxie von Metropolit Kyrill von Moskau. Da trifft uns die heutige Lesung aus dem Galaterbrief von Paulus: 

Schwestern und Brüder! Ihr alle seid durch den Glauben Töchter und Söhne Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus. Wenn ihr aber zu Christus gehört, dann seid ihr Abrahams Nachkommen, Erben gemäß der Verheißung. (Gal 3, 26-29)

Nach Auskunft der Exegeten handelt es sich bei diesem Text um ein altes Taufbekenntnis. Paulus kannte die hier genannten Gegenwelten aus der Gesellschaft und offensichtlich auch aus den jungen Gemeinden. Wie sollte es auch anders sein. Die Mitglieder der Gemeinden waren ja zunächst Mitglieder ihrer Gesellschaft. Aber Paulus hält mit dem schärfsten Argument dagegen: Ihr seid alle Getaufte. Damit habt ihr „Christus angezogen“. Ihr seid deswegen grundlegend „einer“. Deswegen gibt es da keine Grad- und Machtunterschiede. 
Wir wissen, wie schwer sich die Kirche bis heute damit tut.

Juden und Griechen
Der Gegensatz zwischen Juden und Griechen war damals nicht nur einer von Rasse (so dachte man damals und manche neue heute) und Volk, sondern vor allem ein religiöser: Die einen waren Angehörige des auserwählten Gottesvolkes, die anderen ungläubige Heiden. Wir wissen, wie schwer es der jungen Christenheit gefallen ist, Heidenchristen als „gleich“ anzuerkennen, ohne dass diese das jüdische Gesetz halten mussten. In der späteren Christentumsgeschichte ist an die unheilvolle Isolierung, Diffamierung und Vertreibung von Juden in Europa und an die Kreuzzüge zu denken, an die internen Konfessionskriege. Aber auch später in der Missionsgeschichte finden wir die Missachtung der ursprünglichen Bevölkerung und ihrer religiösen Traditionen in Afrika und Lateinamerika. Auch heute müssen wir noch lernen, pluriforme Weltkirche zu werden und die „Mission“ nicht als europäischen Kultur- und Machtexport zu verstehen. Der Antisemitismus steckt noch tief in der Weltgesellschaft. 

Herren und Sklaven
„Da ist nicht mehr Herr und Sklave.“ Paulus ist überwältigt von der Erfahrung, dass die Gegensatzpaare, die die damalige Gesellschaft bestimmten, in der Gemeinde keine Rolle mehr spielten. Doch da ist er inkonsequent: Er schickt den entlaufenen Sklaven Onesimus zu seinem Herrn Philemon zurück.  Das Institut der Sklaverei war damals so selbstverständlich, dass auch Paulus es nicht in Frage stellte. So blieb es lange in der Kirche. Als Ende des 19. Jahrhunderts   in Brasilien vom Staat her die Sklaverei abgeschafft wurde, hatten fast alle Klöster noch ihre Sklaven. Im großen Klostergebiet z.B. in dem goldreichen Franziskanerkloster von Salvador de Bahia lag eine eigene einfache Kapelle für die Sklaven, die nicht am Chorgebet der Mönche teilnehmen durften. 

Doch das Wort des Paulus zielt weiter: In der Kirche darf es keine „Herren“ geben, die meinen, alles sagen und bestimmen zu können. „Hierarchie“ – „Heilige Herrschaft“ dürfte es deswegen in der Kirche nicht geben. Es ist ein denkbar schlechter und verführerischer Name für das Dienstamt in der Kirche. Es geht dabei natürlich nicht nur um den Namen, sondern vielmehr um die Wirklichkeit, die Mentalität und das Selbstverständnis des Amtes. Verleiht die Priesterweihe „Macht“? Die sexuellen Verbrechen von Klerikern an Kindern und Jugendlichen sind Zeichen des Machtmissbrauchs der „Herren“, die „Hochwürden“ genannt wurden und sich selber so verstanden. Im „Synodalen Weg“ gibt es immer noch zwei unterschiedliche Stimmrechte. Bei der Weltsynode, zu der Papst Franziskus die ganze Weltkirche zum Gespräch eingeladen hat, entscheidet hinterher nur einer: der Papst alleine. Zwei „Stände“ in der Kirche, in der alle „einer“ sind? 

Männlich und weiblich
„Nicht männlich und weiblich“, wir würden heute hinzufügen: nicht queer oder divers. Doch die Kirche tat und tut sich schwer damit, diese Gleichstellung von Mann und Frau, diese Gleichstellung aller Menschen, in ihrem eigenen Leben zu realisieren. Ich bin der festen Überzeugung, dass vor diesem Glaubensbekenntnis aus der ersten Christenheit der Ausschluss der Frauen, auch von queeren oder diversen Menschen vom Weiheamt keinen Bestand haben darf. Oder brauchen wir das Weiheamt überhaupt noch? Würden nicht unterschiedliche Beauftragungen besser den unterschiedlichen Charismen gerecht?

Doch auch unterhalb dieser Ebene ist noch viel zu tun. In der kirchlichen Administration und in den Leitungsgremien spielen Frauen immer noch eine untergeordnete Rolle. Nur wenn Männer (Priester) fehlen, rücken die Frauen auf. So werden in Lateinamerika zwei Drittel der Basisgemeinden von Frauen geleitet. Doch diesen Frauen wird auch von Papst Franziskus trotz den Forderungen der Amazonas-Synode der kirchliche Status verweigert. Das kirchliche Frauenverständnis ist vielfach noch vom romantischen Familien-Idyll geprägt, nicht von der schöpfungsgemäßen Gleichheit als gemeinsames Bild Gottes. Die queeren und diversen Menschen unter uns ringen gerade um ihre gesellschaftliche und kirchliche Anerkennung als gleiche Menschen. „Denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“

Kirche im Dienst der Gleichheit und Würde aller Menschen
Wir sind in der Kirche noch weit davon weg, das Glaubensbekenntnis des Galaterbriefes in der Wirklichkeit einzuholen. Dabei wäre dies auch ein wichtiger Dienst an der Gesellschaft, die unseren Dienst braucht, um die Gegensätze in der Welt zu überwinden, um Gerechtigkeit und Würde aller Menschen mehr zu sichern. Es gibt auch heute diese mörderischen Gegensätze: „Herren und Sklaven“: das heißt freie Marktwirtschaft nicht nur mit den Sklav*innen in Bangladesch, Brasilien und Fleischfabriken, sondern auch mit den Sex-Sklavinnen in den Bordellen der reichen Weißen. „Juden und Griechen“: Wachsender Rassismus vergiftet das Miteinander der Menschen. Brutaler Nationalismus überfällt andere Völker oder unterdrückt Minderheiten und freie Meinungsäußerung im eigenen Volk. „Mann und Frau“: Die Gleichstellung aller Menschen, ihre Würde im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben hinkt hinter der eigentlichen Forderung hinterher (Art. 1 Grundgesetz). 

Die Kirche ist also immer noch gefordert, das Taufbekenntnis, das Paulus zitiert, in ihrem eigenen Leben einzuholen, damit sie ihren evangeliumsgemäßen Dienst in der heutigen Gesellschaft erfüllen kann. Ein Taufbekenntnis aus der ersten Zeit des Christentums, voller Dynamik beglückender Erfahrungen in den jungen Gemeinden – die Kirche unserer Tage ist immer noch unterwegs, dieses Bekenntnis in ihrem eigenen Leben wahrzumachen. Denn die Welt braucht Beispiele gelungener Gleichheit und Einheit trotz verschiedener Herkünfte und Einstellungen. Es wird immer mehr zu einer Überlebensfrage der christlichen Kirchen und unserer Menschenwelt. Unser Grundgesetz ist da Feststellung und Mahnung zugleich, ferne Erinnerung an die leidvolle Geschichte der Verse aus dem Galaterbrief über Freiheit und Gleichheit der Menschen.

Gott sei Dank gibt es in den christlichen Kirchen Gruppen und Institutionen, die sich in diesem Sinne einsetzen. pax christi gehört auch dazu. Gott sei Dank gibt es auch viele außerkirchliche Gruppen, Medien, NGOs und Institutionen bis in die UNO hinein, wo sich Menschen unterschiedlicher Herkunft, eben „Juden und Griechen“, oft unter dem Einsatz ihres eigenen Lebens, in diesem Sinne für die Gleichheit und die Würde aller Menschen einsetzen, für die Opfer zuerst. Ihnen gehört nicht nur unsere Unterstützung, sondern auch unser Dank vor unserem Gott, nach dessen Bild alle Menschen gleich geschaffen sind.   

Gebet
Gott, Vater und Mutter aller Menschen.
Die Gegensätze in unserer Welt klagen uns an:
Arm oder reich, mächtig oder ohnmächtig,
angesehen oder ausgegrenzt, Freund oder Feind
stehen gegeneinander, oft mit mörderischer Gewalt.

Du hast alle Menschen geschaffen
mit gleicher Würde und mit gleichem Recht. 
Mann und Frau, alle Menschen sind nur zusammen dein Ebenbild.
Du willst, dass die Menschen und Völker bei all ihrer Verschiedenheit
in Gleichheit, Freiheit und Geschwisterlichkeit,
in Frieden und Gerechtigkeit für alle
zusammen wohnen und die Welt gestalten.

Hilf deiner Kirche, 
dass sie selbst aus dieser Gesinnung lebt,
damit sie ihren Dienst an der Menschheit leisten kann.
Hilf uns allen, 
damit wir deinen Reichtum in aller Verschiedenheit entdecken,
uns nicht abkapseln, sondern dankbar werden 
für die gleiche Würde, die du allen schenkst.

So bitten wir dich im Namen Jesu,
in dem du Bruder und Freund aller Menschen geworden bist,
uns in Liebe zugetan.