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Impuls zum 26. Juni 2022

Zum 13. Sonntag im Jahreskreis

Von Albert Hohmann (Trier), pax christi Trier 

Shoah
Die Auseinandersetzung des Apostels Paulus mit Judenchristen im Galaterbrief führt uns noch einmal tief in die Schuldgeschichte, die wir als Christen gegenüber den Juden auf uns geladen haben.

Schon antijüdische Vorurteile im römischen Reich fanden in den Evangelien und Briefen Nährboden und verstärkten sich im Laufe der Zeit in der Behandlung von Juden durch die Errichtung von Ghettos oder Ausweisungen. Ihnen wurde eine Randexistenz zugewiesen, die oftmals in aufgeheizten Situationen (Brunnenvergiftung, Ritualmord) in Pogromen mündeten, auch noch in der Neuzeit. Letztlich führte das zu den Novemberpogromen 1938 und dem Fanal von Auschwitz und den anderen Konzentrationslagern. Die Geschichte der Kirchen und das Schweigen zur Judenvernichtung machen die Verwobenheit offenkundig. Der theologisch legitimierte Judenhass war lange vor der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten am Werk.

Die Blindheit der Juden (Synagoge)
Die Weigerung der Juden, Jesus von Nazareth als Messias anzuerkennen, wird ihnen als Blindheit (vgl. den Schleier über den Augen der Synagoge –  auch im Portal des Trierer Domes) und Verweigerung des Heilsangebotes Gottes ausgelegt. Die Aufsehenerregende, vom Papst 2008 wiedereingeführte Karfreitagsbitte für die Juden offenbart diese Denkweise bis in die heutige Zeit. Dort heißt es: „Lasset uns auch beten für die Juden: Dass unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als den Heiland aller Menschen anerkennen“. Das Gebet fährt fort: „Allmächtiger ewiger Gott, der du willst, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen, gewähre gnädig, dass beim Eintritt der Fülle der Völker in deine Kirche ganz Israel gerettet wird. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn. Amen.“ Es geht um die Erkenntnis und Anerkennung der Messianität Jesu als den Erlöser für alle Menschen. Die Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel wird ignoriert.

Verheißung und Erfüllung
Beispielsweise zeigen sich im Johannesevangelium antijüdische Tendenzen. Die Pauschalisierung in dem Wort „Juden“ ist wohl auch dem zu verdanken, dass seine Adressaten nichtjüdische Gemeinden waren. Die Schärfe (vgl. 8,43-45) spiegelt die zunehmende Auseinandersetzung zwischen Juden und Christen in der Entstehungszeit des Evangeliums wider. 8,43-45: „Warum versteht ihr meine Sprache nicht? Weil ihr mein Wort nicht hören könnt. Ihr seid aus dem Vater, dem Teufel, und die Begierden eures Vaters wollt ihr tun. Jener war ein Menschenmörder von Anfang an und stand nicht in der Wahrheit, weil keine Wahrheit in ihm ist. Wenn er die Lüge redet, so redet er aus seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und der Vater derselben. Weil ich aber die Wahrheit sage, glaubt ihr mir nicht.“ Vgl. auch Joh, 5, 36ff; 6,42ff; 8,48ff

Die Überzeugung in Theologie und Christentum, dass allein der Glaube an den Erlöser Jesus Christus das Heil bringt, ist bis heute aktuell, wie die Karfreitagsbitte oder auch eine Predigt Kardinal Faulhabers dokumentieren. Er führt aus, dass Israel nach dem Tod Christi aus dem Dienst der Offenbarung entlassen wurde. An anderer Stelle, dass Gesetz und Propheten nicht aufgehoben sind. Auch Karl Rahner schreibt noch nach dem letzten Konzil: Eine bloß alttestamentlich immanente Bedeutung … würde verkennen, dass das Alte Testament sein ganzes Wesen erst im Neuen Testament enthüllt hat“. Eine Anekdote aus unserer Familie zeigt, dass die Christen so dachten. Danach soll mein Großvater als Schüler in Sorge um das Heil seines jüdischen Klassenkameraden, diesen mit Weihwasser in der Ortskirche getauft haben.

Allerdings, von der jüdischen Mehrheit wird, dass der Glaube der Christen, dass Jesus der verheißene Messias sei, dass die Christen das wahre Israel seien, als Anmaßung gesehen.

Gesetz und Evangelium
Die Gegenüberstellung die erste (das alte) Testament verkörpert, das Gesetz (Tora) und das neue die frohe Botschaft der Erlösung und Gnade. Diese Überzeugung hat sich dabei auf den Römerbrief, aber auch auf Passagen des Galaterbriefes berufen. Im 3. Kapitel legt Paulus dar, dass die Christen im Glauben an die Befreiungstat Jesu Christi gerecht werden. Wie schon Abraham verheißen, würden alle Völker eben im Glauben gerechtfertigt.

Das Halten des Gesetzes (Tora) trägt dazu nicht bei. Im Gegenteil würde das seinen Tod und seine Auferstehung relativieren. Der Glaube an die erlösende Tat Jesu ist der Heilsweg der Christen und das Halten der Tora für die Juden. Seine Argumentation richtet sich gegen Judenchristen unter den Galatern, die unter anderem auch die Notwendigkeit der Beschneidung propagierten und Paulus eine Verfälschung des Apostelkonzils in Jerusalem vorwarfen.

Paulus sieht im Gesetz aber auch ein immanentes Problem. In Gal 3,11 heißt es: Denn in der Schrift heißt es: Verflucht ist jeder, der sich nicht an alles hält, was zu tun das Buch des Gesetzes vorschreibt.“ Das Gesetz ist Schulmeister bis zum Kommen des Messias. Es offenbart, dass wir noch nicht gerechtfertigt sind.

Aufgrund der Rechtfertigungslehre Martin Luthers spielt das Verhältnis von Gesetz und Evangelium in der evangelischen Theologie bis heute eine besondere Rolle. Nach ihm dient das Gesetz dazu, dem Menschen seine Begrenztheit und Schuld zu offen, während der Glaube an die erlösende Botschaft Jesu Christi das Heil bringt.

Tora
Während unter dem Stichwort Gesetz ein eher legalistischer Blick (Reinigungs-, Essensvorschriften) auf das erste Testament geworfen wurde, bezeichnet zum Beispiel Martin Buber die Tora als Weisung. In ihr wird dargelegt, was dem Volk Israel zum Leben dient. Ihre Befolgung bringt den Schalom, Frieden und Heil.

Diese Verheißungen wurden nicht relativiert oder gar gekündigt. Im Gegenteil, Jesus bekennt sich zur Tora und ihrer Erfüllung. Wir Christen sind eingeladen, das große Leitwort der Tora „Gerechtigkeit“ auch in unseren Lebenszusammenhängen zu buchstabieren und für sie einzutreten. Die Tora wird so Instrument universaler Gerechtigkeit und Freiheit. Sie erweist sich als Lebensbuch.

Lesung Galater 5.1, 13-18
Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen! Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe! Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! Wenn ihr einander beißt und verschlingt, dann gebt Acht, dass ihr euch nicht gegenseitig umbringt. Darum sage ich: Lasst euch vom Geist leiten, dann werdet ihr das Begehren des Fleisches nicht erfüllen. Denn das Begehren des Fleisches richtet sich gegen den Geist, das Begehren des Geistes aber gegen das Fleisch; beide stehen sich als Feinde gegenüber, sodass ihr nicht imstande seid, das zu tun, was ihr wollt. Wenn ihr euch aber vom Geist führen lasst, dann steht ihr nicht unter dem Gesetz.
 
In der Lesung des Sonntags nimmt Paulus noch einmal den Kern des Befreiungshandelns Jesu Christi auf. Neue Joche kommen für die von Knechtschaft Befreite nicht in Frage. Unterwerfungen unter bestimmte Normen wie etwa die Forderung, dass die Beschneidung notwendig sei, oder die Einhaltung anderer Vorschriften, beeinträchtigen diese Freiheit. Ihre Beachtung ist Judenchristen auch als Befreite möglich, ist aber für die „Heidenchristen“ eine Missachtung der entscheidenden Rechtfertigung durch den Glauben.

Paulus sieht aber unter den Galatern noch ein anderes Fehlverhalten. Sie interpretieren die Freiheit als Grundlage zur Rücksichtslosigkeit, Zwietracht zu säen und sich gegenseitig zu schaden. Allzu oft trifft es abgehängte Menschen oder auch die Fremden. Solidarisches Handeln wird damit hinfällig, der Kern der Befreiung, die Nächstenliebe verfehlt.

In den Auseinandersetzungen um die bürgerliche Freiheit und den Einschränkungen in Pandemiezeiten ist in unserer Gesellschaft etwas Ähnliches zu Tage getreten. Menschen, die sich für die Freiheit von Vorschriften einsetzten, haben nicht selten den Blick für ihre Mitmenschen, besonders auch der gesundheitlich Gefährdeten verloren. Auflagen, die eine Ansteckung und das Ausbrechen der nicht selten gravierenden Auswirkungen verhindern sollten, wurden ignoriert. Mancher weigerte sich, Masken zu tragen oder Abstand zu halten. Einige wurden sogar handgreiflich. Der Schutz gefährdeter Menschen gehörte nicht zum Markenkern einer Freiheit durch Selbstbestimmung. Die Solidarität wurde unterlaufen.

Was Solidarität in einer gerechten Gesellschaft bedeutet, bringt die Tora zum Vorschein. Sie fordert ein Leben ohne Ausbeutung und Unterdrückung für alle ein. Die Geknechteten und Armen gehören dazu und nicht nur aus Gnaden der Gewinner.

Das Zeugnis der Christen vom göttlichen Erbarmen in der Befreiung durch Jesus Christus und das Zeugnis der göttlichen Treue zum Volk des niemals gekündigten Bundes ergänzen sich gegenseitig.

Leben nach der Tora
Aus dem Deuteronomium (Huub Osterhuis)

Höre Israel, ich stelle dir vor Augen: Leben und Glück,
aber auch Tod und Verderben
Wenn du gehst auf dem Weg meines Wortes, wirst Du leben,
du und deine Kinder, von Geschlecht zu Geschlecht.
Höre Israel.
Was verlangt der Herr, dein Gott, anders,
als dass du ihn liebst und erkennst als vollkommene Gerechtigkeit.
Dass du gehst auf seinem Weg.
Als dass du ihm angehörst mit Leib und Seele, als vollkommene Gerechtigkeit.
Dass du die Worte festhältst, die er dir heute gibt, damit es dir wohl ergehe.
Beschneidet denn eure Herzen und seid nicht länger verstockt.
Denn der Herr, der euer Gott ist, er ist Gott über allen Göttern und Mächten;
über alle Machthaber und Ungerechten ist er der Starke,
der einzig Ehrfurchtgebietende, der sieht und handelt ohne Ansehen der Person und keiner Bestechung unterliegt.
Er schafft Witwen und Waisen Recht.
Er hat den Fremdling lieb, er gibt ihm Brot und Bekleidung.
Liebt also den Fremdling in eurer Mitte. Denn ihr selbst seid Fremdlinge
gewesen und Sklaven in einem fremden Land.
Liebt euren Nächsten, denn er ist wie ihr.
Ihr sollt nicht die Frau eures Nächsten begehren,
nicht seinen Boden und nichts von ihm.
Ihr sollt keinen Zins eurem Nächsten rechnen.
Einmal in sieben Jahren sollt ihr nachlassen all seine Schuld.
Arme sollen nicht in eurer Mitte sein.
… mäht euren Acker nicht bis zum äußersten Rand und lest eure Ernte nicht noch einmal nach und sammelt die abgefallenen Früchte nicht.
Lass sie über für den Armen und den Fremden.
Ich bin es und kein anderer ist euer Gott.
Ihr sollt nicht stehlen.
Verfälscht meinen Namen nicht, entkräftet und entheiligt nicht meinen Namen:
Ihr sollt euren Nächsten nicht prellen, nicht berauben.
Ihr sollt den Lohn des Tagelöhners nicht zurückhalten bis zum nächsten Morgen.
Und wenn ihr von eurem Nächsten den Mantel als Pfand genommen habt,
so gebt ihn zurück, wenn es Abend wird,
denn es ist das Einzige, womit er sich zudeckt, und wie soll er anders schlafen. …
Diese Worte, die ich euch heute gebe, prägt euch in Herz und Seele,
schreibt sie auf eure Türpfosten und Tische,
schreibt sie auf eure Stirn und in die Flächen eurer Hand.

Psalm 119
1Selig, deren Weg ohne Tadel ist, die gehen nach der Weisung des HERRN. 2 Selig, die seine Zeugnisse bewahren, ihn suchen mit ganzem Herzen, 3 die kein Unrecht tun und auf seinen Wegen gehn. 4 Du hast deine Befehle gegeben, damit man sie genau beachtet. 5 Wären doch meine Schritte fest darauf gerichtet, deine Gesetze zu beachten. 6 Dann werde ich nicht zuschanden, wenn ich auf all deine Gebote schaue. 7 Mit lauterem Herzen will ich dir danken, wenn ich deine gerechten Entscheide lerne. 8 Deinen Gesetzen will ich folgen. Verlass mich nicht! Niemals!
32 Ich will laufen den Weg deiner Gebote, denn mein Herz machst du weit. 33 (He) Weise mir, HERR, den Weg deiner Gesetze! Ich will ihn bewahren bis ans Ende. 34 Gib mir Einsicht, damit ich deine Weisung bewahre, ich will sie beachten mit ganzem Herzen! 35 Führe mich auf dem Pfad deiner Gebote, denn an ihm hab ich Gefallen! 36 Neige mein Herz zu deinen Zeugnissen und nicht zur Habgier! 37 Wende meine Augen davon ab, nach Nichtigem zu schauen, auf deinen Wegen belebe mich! 38 Erfülle deinen Spruch an deinem Knecht, dass man dich fürchte! 39 Wende ab von mir die Schande, vor der ich erschrecke! Denn gut sind deine Entscheide. 40 Siehe, nach deinen Befehlen hab ich Verlangen. Durch deine Gerechtigkeit belebe mich!

Segen nach Psalm 1
Gesegnet wer Freude hat an der Weisung des Herrn, / über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht. Was er tut, / wird ihm gut gelingen.