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Impuls zum 25. Dezember 2022

Weihnachten 2022 und der Friede

Von Klaus Hagedorn (Oldenburg), Geistlicher Beirat pax christi Deutsche Sektion e.V.

Prolog
„Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. …. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden.“  
(Johannes, 1,1-5.9-12a)

Findet sich Rettendes?
Wie beginnen? Wo ist Rettendes zu finden angesichts all der Schreckensszenarien und Katastrophen, mit denen wir derzeit konfrontiert sind? 

Der Gott von Mose und Jesus hat diese Erde an uns Menschen gegeben - und uns Menschen einander gegeben - und einmal gegeben ist für immer gegeben. Dieser Gott ist ein Befreier-Schöpfer-Gott. Deshalb: dieser Gott schickt keine Katastrophen und ist nicht zur Verantwortung für solche zu ziehen. 

Es gibt so etwas wie eine Stimme, die sagt: Befreit einander, tötet nicht, unterstützt das Leben, nehmt das Leben in Fülle für alle in den Blick. Wenn ich diese Stimme in mir höre und den Willen spüre, so zu handeln, dann bin ich der Stimme des Befreier–Schöpfer–Gottes auf der Spur. Es ist sein Wort, mit dem alles begonnen hat. Es ist das „Licht in der Finsternis“, von dem das Johannes-Evangelium im Prolog (vgl.1,1-5) spricht, das tief eingewurzelt ist in uns Menschen wie der Lebensatem. Ich nenne es den Ursprung des Gewissens. Es ist doch wirklich so: In jedem Menschen ist eine Ahnung präsent und greifbar um wirkliches Leben, um Frieden und Heil. 

Es geht um die Vision: um die Gestaltung unserer Erde als zu bewohnendem Ort für alle, um Frieden auf Erden unter allen Menschen, um ein Klima der Liebe, um Strukturen der Gerechtigkeit. Beten um Frieden in diesen Zeiten bedeutet für mich: diese Vision mir vor Augen zu halten. Ich lese im Ersten Testament im Buch Levitikus 19,18 – und das war Maßstab für Jesus: „Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du.“ Er hat rotes Blut -, er weint und hat Schmerzen -; er ist der Freude und des Glücks fähig -; er ist ein Mensch mit Würde ausgestattet - wie du und ich. 

Beten um Frieden ist folglich auch: dieses Wort nach-denken, mit-fühlen, so aufnehmen, dass es mich nährt; alle wirklichen Folgen von diesem Wort einschätzen lernen, betrachten, abwägen, ergründen bei Tag und bei Nacht, d.h., wenn das Leben krisenbestimmt ist und wenn es wie von selbst gut läuft. 

„Wachet und betet“ – heißt es oft in den Schriften. Wachsamkeit scheint eine entscheidende Eigenschaft – und dann tun, was Not wenden kann, so begrenzt die Kraft auch ist. Wenn es an Wachsamkeit fehlt, besteht die Gefahr, dass die Versuchung obsiegt. Die Versuchung ist für mich, in Verzweiflung unterzugehen, also verzweifelt zu denken: diese Erde wird niemals ein bewohnbarer Ort für alle; Frieden erlangen wir einfach nicht; die Friedensvision ist eine Illusion; Leben in Fülle hat keine ernsthaften Aussichten. Und dann zu sagen und theologisch zu überhöhen: Wir Menschen schaffen es nicht, aber Gott wird alles machen… Wenn ich so anfange zu denken, bin ich der Versuchung erlegen. 

Von Jesus kann man anderes wahrnehmen: seinen Aufruf „Wachet und betet“ – und sein Gebet: „Geheiligt werde dein Name“, „Dein Reich komme“, „Dein Wille geschehe“. Ich verstehe: Jesus betet um die Verwirklichung dieser Vision – durch ihn selbst, durch seine Freund:innen, durch uns, die wir so beten - durch wen sonst? Und dann: darauf vertrauen, dass unsere unvollkommenen Schritte vollendet werden. Es braucht nur unsere nächsten Schritte. Es braucht die Bitte um die Heilige Geistkraft. Sie ist wie das tägliche Brot, das es braucht, um zu leben und zu gehen. Es ist nicht möglich, ohne sie zu leben. Denn sie stärkt die Lebenshaltung, die Paulus den „Glauben“ nennt, wodurch man „dennoch“ sagt oder „trotzdem“. Und sie setzt darauf, das werden kann und wird, was noch nicht ist: Frieden und Versöhnung. 

„Ich steh an deiner Krippe hier“ - Ein Kirchenlied mit Erfahrungen im 30-jährigen Krieg
Ich steh an deiner Krippe hier, / o Jesus, du mein Leben. / Ich komme, bring und schenke dir, / was du mir hast gegeben. / Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn. / Herz, Seel und Mut, nimm alles hin / und lass dir’s wohl gefallen.

Da ich noch nicht geboren war, / da bist du mir geboren / und hast mich dir zu eigen gar, / eh ich dich kannt, erkoren. / Eh ich durch deine Hand gemacht, / da hast du schon bei dir bedacht, / wie du mein wolltest werden.

Ich lag in tiefster Todesnacht, / du warest meine Sonne, / die Sonne, die mir zugebracht / Licht, Leben, Freud und Wonne. / O Sonne, die das werte Licht / des Glaubens in mir zugericht, / wie schön sind deine Strahlen.

GL 256, 1-3 / EG 37, 1-3: Text: Paul Gerhardt 1653, Musik: Johann Sebastian Bach 1736

„Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren…“
Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen. Diese Aufzeichnung war die erste; damals war Quirinius Statthalter von Syrien. Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen. So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. Es geschah, als sie dort waren, da erfüllten sich die Tage, dass sie gebären sollte, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war. 

In dieser Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie fürchteten sich sehr. Der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: Ehre sei Gott in der Höhe / und Friede auf Erden / den Menschen seines Wohlgefallens. 

Lukas 2,1-14

Der Friede der Weihnacht ist umstritten in unserer Welt
Der Friede ist in unseren Zeiten weit gefehlt – nicht nur in Europa - weltweit. Wir sind konfrontiert mit Kriegen und Aufrüstung, mit Elend und Not, mit Mord und Totschlag, mit Ungerechtigkeit und Korruption, mit Gewalt und Unterdrückung. Von Frieden keine Spur; Friedensbringer werden dringend gesucht. Die kunstvoll komponierte Weihnachtsgeschichte des Lukas ist kaum zu glauben.  

Da ist die Rede von der Geburt eines Kindes unter sehr prekären Bedingungen. Und Lukas will sagen: dieses Kind - in der Futterkrippe für Tiere - ist der Messias, der Retter, der Friedensbringer; dieses Kind ist ein sehr besonderer Mensch (geworden): eben der Bringer von Gottes Frieden. Und dieser Frieden ist völlig anderer Art als die Pax Augustana, der es um Steuereintreibung und Gewalt geht. Alle im Reich hatten damals ihre Erfahrungen damit. Hier kommt – gegensätzlich - ein Friede in wehrloser Gestalt daher, in einem Kind, das am Anfang seines Lebens in einer Futterkrippe liegt, das am Ende am Kreuz landet. Ein Leben zwischen Krippe und Kreuz. Es ist arm dran – und geht doch alle an. Dieser Friede Gottes wird mit ihm anfangen – aber auf gewaltfreie Weise: „…er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen“ (Lukas 1,52). Seine Friedensbewegung ist also gänzlich anderer Art, gründet nicht auf Selbstverherrlichung und Gewalt wie die des Augustus und seiner Potentaten wie Qurinius. 

Wie kann ich andocken an diesem Frieden? Es braucht, mich auf seine Spur zu begeben. Die Entscheidung für den Jesus aus Nazareth, die Vor-Liebe für diesen Juden mit allzu kurzem Lebensweg, der Wille zum Christ-, zum Christinwerden – das alles ist wie ein radikaler Neubeginn. Den Fragen nach Leben und Sinn, nach Tod und Überleben, nach Krieg und Frieden kann ich nicht ausweichen, wenn ich aufrecht und konsequent bleiben will. Die Frage ist bleibend: welche Lebensentscheidung austragen, welche Wahl treffen, welche Vor-Liebe äußern? Ich kann mich vor solchen Entscheidungen drücken, gerade auch in der „seligen“ Weihnachtszeit. Aber irgendwann bin ich gestoppt, alles so weiterlaufen zu lassen, und habe zu entscheiden: Für wen und für was stehst du ein, wo sagst du ja, wo sagst du nein?! 

Die Gedanken des Schlesiers Johannes Scheffler aus Breslau, dem Angelus Silesius, einem Menschen des 30-jährigen Krieges, fassen eine jahrtausendlange Überlieferung zusammen: Gottes Geburt findet im Herzen des Menschen statt, hier und jetzt und immer. Bethlehem ist nicht nur ein Ort in Palästina, Bethlehem ist jeder Mensch. Auch in meinem Leben und Hoffen will dieser Friede Gottes ausgetragen und zur Welt gebracht werden. Mit allen adventlichen Schwangerschaften und Geburtsschmerzen geht es darum, dass wir Menschen uns verbindlich entscheiden und ihn, diesen Jesus, in uns und um uns zur Welt bringen – und damit die Heilige Geistkraft zur Wirkung bringen. Es geht um die Verwandlung von Welt und Mensch hier und jetzt. Weihnachten ist nicht nur ein vergangenes Ereignis irgendwann im historischen Kalender der Weltgeschichte, irgendwo im Römischen Reich damals. Weihnachten geschieht in der Tiefe von Mensch und Welt: Gottesgeburt im Menschen, Menschengeburt in Gott.

Dass Frieden, sein Friede, schon auf Erden da ist – heute und unwiderruflich – nicht mehr ausrottbar - das ist Zuspruch, auf den ich nur setzen kann. Und das ist wie eine Wette. Daran zu glauben, heißt weiterzusehen, als wir sind in Sachen Frieden. Und es bedeutet: sich dafür einzusetzen, dass Hass und Feindschaft nicht das letzte Wort haben, sondern verwandelt werden. 

Von daher suchen und ringen wir in pax christi nach Wegen, die Frieden vorbereiten und Zeugnis geben von der Friedensbotschaft des Weihnachts-Evangeliums, wenn wir in unserer Erklärung „Wer Frieden will, muss Frieden vorbereiten“ angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine uns selbstverpflichtet haben z.B. zu folgendem: 
  • „uns nicht an Kriege und Gewalt zu gewöhnen, weder in der Ukraine noch an die vielen anderen Kriege weltweit; 
  • Kontakte zu zivilen Organisationen auf russischer und ukrainischer Seite aufrechtzuerhalten, zu pflegen oder zu initiieren; ebenso Kontakte auf persönlicher Ebene nicht abreißen zu lassen;
  • Politiker:innen, Kirchenvertreter:innen oder anderen Personen des öffentlichen Lebens daran zu erinnern, den Dialog mit allen denkbaren Partner:innen mit Hartnäckigkeit und Geduld zu suchen und zu führen und Gesprächskanäle auf allen Ebenen offen zu halten oder zu öffnen;
  • immer neu aufzufordern, in Diplomatie und Verhandlungen die Sichtweisen aller Konfliktparteien wahrzunehmen, kritisch zu hinterfragen und keine Feindbilder aufzubauen oder zu verstärken;
  • mitzuhelfen, die öffentliche Debatte aus der militärischen Engführung herauszuholen und die vielfachen Möglichkeiten gewaltfreien und deeskalierenden Handelns bekannt zu machen; 
  • aufzurufen, dass allen Menschen beider Seiten, die sich dem Krieg entziehen möchten, den Kriegsdienst oder den Kriegseinwirkungen, für die Dauer ihrer Gefährdung in Deutschland Aufnahme gewährt wird;
  • die Umsetzung des Atomwaffenverbotsvertrages sowie die Einrichtung entmilitarisierter Zonen weiter mit Nachdruck zu befördern“.

Die Weihnachtsgeschichte im Spiegel unserer aktuellen Ratlosigkeit, wie denn Frieden konkret werden kann, zeigt, dass der Friede Gottes arm dran ist in unserer Welt und umstritten. Aber ich will trotz vielem und vielem zum Trotz mir nicht ausreden lassen, den Wegen des Friedens nachzugehen, die ich bei Jesus von Nazaret entdeckt habe.

Nachklang – Zwei Gedichte

Völker der Erde 
Völker der Erde 
ihr, die ihr euch mit der Kraft der unbekannten 
Gestirne umwickelt wie Garnrollen, 
die ihr näht und wieder auftrennt das Genähte, 
die ihr in die Sprachverwirrung steigt 
wie in Bienenkörbe, 
um im Süßen zu stechen 
und gestochen zu werden – 

Völker der Erde, 
zerstöret nicht das Weltall der Worte, 
zerschneidet nicht mit den Messern des Hasses 
den Laut, der mit dem Atem zugleich geboren wurde. 

Völker der Erde, 
O dass nicht Einer Tod meine, wenn er Leben sagt – 
und nicht einer Blut, wenn er Wiege spricht – 

Völker der Erde, 
lasset die Worte an ihrer Quelle, 
denn sie sind es, die die Horizonte 
in die wahren Himmel rücken können 
und mit ihrer abgewandten Seite 
wie eine Maske dahinter die Nacht gähnt 
die Sterne gebären helfen –

in: Nelly Sachs, Fahrt ins Staublose - Gedichte, Frankfurt 1988, S. 152 

Maria
Die Nacht ihrer ersten Geburt war 
Kalt gewesen. In späteren Jahren aber 
Vergaß sie gänzlich 
Den Frost in den Kummerbalken und rauchenden Ofen 
Und das Würgen der Nachgeburt gegen Morgen zu. 
Aber vor allem vergaß sie die bittere Scham 
Nicht allein zu sein 
Die dem Armen eigen ist. 
Hauptsächlich deshalb 
Ward es in späteren Jahren zum Fest, bei dem 
Alles dabei war. 
Das rohe Geschwätz der Hirten verstummte. 
Später wurden aus ihnen Könige in der Geschichte. 
Der Wind, der sehr kalt war 
Wurde zum Engelsgesang. 
Ja, von dem Loch im Dach, das den Frost einließ, blieb nur 
Der Stern, der hineinsah. 
Alles dies 
Kam vom Gesicht ihres Sohnes, der leicht war 
Gesang liebte 
Arme zu sich lud 
Und die Gewohnheit hatte, unter Königen zu leben 
Und einen Stern über sich zu sehen zur Nachtzeit. 

In: Bertolt Brecht, Gesammelte Werke Bd. 8. Gedichte, Frankfurt 1973, S. 122.